Brecht in München
Bert Brecht hat 1917-1919 in München studiert - er war zumindest hier eingeschreiben und besuchte die abenteuerlichesten Kurszusammenstellungen; am meisten interessierte ihn, was mit Geschlechtskrankheiten oder mit Theater zu tun hatte. Er lebte in München von 1917 bis 1924. München war in diesen Jahren ein wichtiger politischer Angelpunkt der Weimarer Republik und erfreute sich des Rufs einer Kunststadt. In München begann Bert Brechts Karriere; Informationen zu seiner Jugend und seinem Karrieresprung in München finden sich hier.
Jugend
Eugen Brecht wurde in AugsburgW geboren und genoss in seinem Elternhaus einen gediegenen großbürgerlichen Wohlstand; Kindermädchen und Hausbediente standen ihm und seinem Bruder Walter zu Verfügung, der Vater leitete eine Abteilung der Papierfabrik Haindl und verdiente dabei sehr gut, die Mutter blieb zu Haus. Sie erkrankte noch während Brechts Jugend schwer an Krebs und stand daraufhin die meiste Zeit unter Morphium. Geprägt wird Brechts frühe Kindheit außer vom bürgerlichen Wohlstand des Elternhauses auch durch den Wilhelminismus mit seiner rigiden konservativen Grundstimmung. Es nimmt insofern nicht wunder, dass Brecht als 16-Jähriger, als im Jahr 1914 der Erste Weltkrieg ausgebrochen war, im ersten Jahr dieses Krieges noch ganz der (alternativlosen) Propaganda vom großen vaterländischen Ehre-Projekt Krieg hingegeben, denselben schreibend verherrlichte; kurze Zeit später allerdings – womöglich angeregt durch Schilderung der tatsächlichen Umstände an der Front durch seinen Schulfreund Caspar Neher – machte der junge Brecht ein pazifistische Kehrtwendung, die ihn letzten Endes zu einer vollkommenen Ablehnung all jener Kulturelemente führte, die die ideologische Grundlage dieses Massensterbens gebildet hatten: Er rebellierte gegen die bürgerliche Obrigkeits- und Sittenhörigkeit, die bürgerlichen und besseren Klassen im Allgemeinen, genauso wie gegen deren Heiligtümer wie Kirche, Familie, Ehre usw. In jungen Jahren resultiert daraus eine vitalistisch-exitenzialistisch geprägte Grundhaltung Brechts, die sich in frühen Schriften wie z.B. im "Baal" oder im "Dickicht der Städte", wie auch in der Lyrik aufspüren lässt.
Als Student in München
Im Jahr 1917 konnte Brecht ein Notabitur ablegen (zusammen mit fünf Kollegen die von einer ganzen ehemaligen Klassenstufe übrig geblieben waren). Er war 19 Jahre alt und hatte seine Schulausbildung abgeschlossen. Dies hätte im Jahr 1917 die sofortige Einberufung an die Front nach sich gezogen, hätte Brechts Vater nicht seinen Einfluss (und sein Geld) geltend gemacht. Auf den Wunsch sich vor dem Militärdienst zu schützen kann vermutlich auch seine kurz darauf erfolgte Immatrikulation an der Uni München im Fach Medizin zurückgeführt werden – Medizinstudenten waren in ihrem Studium von "Kriegswichtigem Belang" und wurden für gewöhnlich nicht einberufen.
Brechts Hang zur Cliquenbildung, die Tatsache, dass er sich immer mit einem engen Zirkel von Verehrern und Verehrerinnen umgab, hatte sich schon in seiner Augsburger Jugendzeit herausgebildet; innerhalb dieser Freundeskreise, wie sie für Brecht Zeit seines Lebens charakteristisch sein sollten, wurde gemeinschaftlich gesungen, getextet, Musik gemacht und an Textprojekten collagiert – selbstverständlich konnte Brecht nicht innerhalb kurzer Zeit einen solchen Zirkel alleine in München aufbauen; er blieb daher zunächst der Stadt Augsburg eng verbunden, kehrte immer wieder in den bekannten Freundeskreis zurück (auch wenn er angeblich polemisierte: "Das beste an Augsburg ist der Zug nach München"). Gleichzeitig begann er an einem vielmaschigen Netz neuer Bekanntschaften zu knüpfen; in den Jahren 1917-1920 vornehmlich in München, später zusätzlich auch in Berlin.
Zu Beginn ist Brecht enttäuscht von München, dessen Ruf als Künstlerstadt folgend er sich mehr erwartet hatte: „Mit der Kunst ist nicht viel los. Ich bin für eine Schließung der Theater aus künstlerischen Gründen“ (aus einem Bief an Caspar Neher im Dez. 1917).
Eine wichtige Station seines Münchenaufenthaltes war sicherlich die Bekanntschaft mit dem Zirkel um Arthur Kutscher (der ein Theaterkritikseminar abhielt – ein Novum zu jener Zeit), und der es ermöglichte, dass Brecht noch kurz vor dessen Tode den von ihm sehr bewunderten Frank Wedekind persönlich kennenlernen konnte. Im Zusammenhang mit dem Kutscher-Seminar ergab sich auch das Zusammentreffen mit Hanns Johst, einem "völkischen" Autor der später unter der Herrschaft der Nazis die Reichsschriftkammer leiten sollte. Johst, Günstling von Kutscher, brachte damals – sehr erfolgreich – das expressionistische Genie-Drama "Der Einsame" heraus. Brecht schmeckte das nicht und er beschloss, "in nur drei Wochen" ein besseres Stück zu verfassen. Er arbeitete schließlich zwar weit länger am Baal, und große Teile dieses Erstlings können mit Sicherheit auf die Mitarbeit von Brechts Freunden 'Cas' (Caspar Neher) und 'Orge' (Georg Pfanzelt) zurückgeführt werden – im Winter 1918 / 1919 war das Stück jedoch in seiner ersten Form fertig gestellt. Zur gleichen Zeit wurde die frisch gebackene Weimarer Republik von einem Unruhezustand in den nächsten geschüttelt; in Berlin versuchten Kommunisten im Zuge der Novemberrevolution erfolglos zu verhindern, dass alte wilhelministische Strukturen wieder unter demokratischem Namen reetabliert wurden, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wurden ermordet. In Bayern – d.h. in diesem Zusammenhang v.a. in München - versuchte ein kleiner Zirkel linker jüdischer Intellektueller (Kurt Eisner, Ernst Toller u.a.) eine Räterepublik auf die Beine zu stellen; die Bevölkerung bot keine Unterstützung, Erfolg wurde somit keiner erzielt. Schließlich wurden die Münchner Räte und viele ihrer Sympathisanten aufs brutalste von "weißen Freicorps" unter Ritter Epp niedergemetzelt. Brecht schiff-schaukelte während dieser Nächte mit Freunden auf dem Augsburger Plärrer. Als ihn und Caspar Neher noch zusätzlich die Nachricht erreichte, dass auch der - zumindest bei Intellektuellen beliebte - Bayerische Präsident Kurt Eisner vom radikalen Graf Arco ermordet worden war, beschlossen die beiden jungen Männer ein Stück über die Stimmung jener Tage zu verfassen - "Spartakus" entstand. Mit selbigem in der Tasche tauchte Brecht kurze Zeit später bei Lion Feuchtwanger auf und bot ihm – der großen Einfluss auf die Entscheidungsfindungen der Münchner Kammerspiele (damals unter Otto Falckenberg) hatte - das Stück, sowie den "Baal" zu Vermittlung an. Feuchtwanger war sowohl von den Stücken als auch von Brechts ungehobeltem Auftreten begeistert. Ein reger Austausch zwischen den beiden beginnt, Brecht ist schließlich weit mehr im Salon der Feuchtwangers zu Hause als in den wechselnden kleinen Zimmern, die er sich hält; schließlich sucht Brechts Vater schwer respektvoll Lion Feuchtwanger auf um ihn zu fragen, ob er denn 'Eugen' für wirklich so talentiert halte – als Feuchtwanger bejaht, kann Brecht sich aus der Uni exmatrikulieren, ohne auf den monatlichen Scheck des Vaters verzichten zu müssen.
Karrieresprungbrett München
Nach einer gewissen Anlaufzeit wurde "Trommeln in der Nacht" – wie "Spartakus" aus politischem Kalkül umgetauft worden war – 1922 sehr erfolgreich an den Münchner Kammerspielen von Otto Falckenberg inszeniert uraufgführt. Brecht hatte in der Zwischenzeit weitere wichtige Kontakte geknüpft: so spielte er Klarinette bei der Oktoberfest-Bude Liesl Karlstadts und Karl Valentins und freundete sich mit dem Komikerpärchen an. Aus Berlin brachte er Arnolt Bronnens Freundschaftliche Verpflichtung und Zusammenarbeit sowie die Unterstützung des bekannten Theaterkritikers Herbert Jhering, des weiteren eine Menge geschickt angelegter Verträge mit verschiedenen Verlagen mit sich. Daher winkte ab dem Jahr 1922 sichtbar der Erfolg: gleich im Anschluss an die Trommeln-Inszenierung nahmen die Kammerspiele das von Karl Valentin, Liesl Karlstadt und Brecht gemeinsam gestaltete Kabarettprogramm "die rote Zibebe" auf die Bühne (zum ersten Mal wurde in den Kammerspielen Kleinkunst gezeigt); bald darauf wurde Brecht auf Jehrings Empfehlung der Kleist Preis verliehen. Brechts zwischenzeitlich auf Reisen nach Berlin und in Augsburg entstandenes Stück "Im Dickicht der Städte" wurde kurz darauf im Residenztheater (damals noch das alte Residenztheater - dessen Interieur kann man heute im Cuvillies-Theater bestaunen) von Erich Engel inszeniert und löste einen Theaterskandal aus. In diese Zeitspanne fällt auch das Verhältnis Brechts mit der jungen Marieluise Fleißer - die beiden lernten sich in Feuchtwangers Salon kennen. Brecht wurde weiterhin als Dramaturg an den Kammerspielen angestellt und bekam einen Vertrag über ein hohes Gehalt in Goldmark (konnte sich also über ein inflationssicheres Einkommen freuen). Schließlich schrieben Brecht und Feuchtwanger noch gemeinsam eine Neufassung von Christopher Marlowes "King Edward II" – zu Deutsch dann: "das Leben König Eduards des Zweiten". Das Stück und seine Inszenierung sollte Brechts letzter großer Wurf in München werden: Er inszenierte selbst wurde dabei aber von seiner jüngsten Bekanntschaft, Asja Lacis, unterstützt, die ihrerseits in Russland bei Meierhold und Eisenstein gelernt hatte. Vermutlich liegen in dieser inszenatorischen Zusammenarbeit der beiden die Wurzeln zu Brechts epischen und politischen Theater.
1924 zieht Brecht endgültig nach Berlin – das Klima dort scheint ihm weniger braun und weniger provinziell. Man muss sich vorstellen, dass in den Jahren 1922 / 1923 die vormals unbekannte NSDAP begonnen hatte, verstärkt in München zu operieren und in die Öffentlichkeit zu treten, Theateraufführungen unsicher zu machen etc. Das Ganze kulminierte schließlich 1923 im Putschversuch Hilters und völkischer Sympathisanten (Hitler-Putsch). Brecht erfand damals das Pseudonym "Mahagony" für die in Dumpfheit und Gewalt zerfallende Stadt.
Im Übrigen schaffte es Bert Brecht, bis zu seinem Umzug nach Berlin (er zählte damals 26 zarte Lenze) schon mindestens drei Kinder mit verschiedenen Partnerinnen gezeugt zu haben.
Nach ihm benannt wurde die Bert-Brecht-Allee in Neuperlach.
Literatur zum Münchner Brecht
- John Fuegi: Brecht & Co
- Horst Jesse: Brecht in München. Verlag Das Freie Buch, 1994. ISBN 3-922431-63-1
- Wucherpfennig, Schulte (Hrsg.): Bertholt Brecht – Die Widersprüche sind die Hoffnungen.
- Klaus Völker: Bertholt Brecht
- Knopf: Brecht Handbuch