Simplicissimus
Der von Albert Langen gegründete Simplicissimus kam erstmals am 4. April 1896 in München in der Friedrichstraße heraus. Diese nach französischem Vorbild konzipierte illustrierte Wochenschrift verstand sich als satirisches Blatt, das in Wort und Bild gegen das konservative politische und gesellschaftliche Weltbild und Wertesystem opponierte und wegen ihrer scharfen Angriffe auch gefürchtet war. Ihr von Thomas Theodor Heine entworfenes Wappentier / Signet war eine rote Bulldogge auf schwarzem Grund.
Werdegang bis 1919
Mit dem Simplicissimus ist der Name Albert Langen für immer verknüpft. Dieser kunst- und literaturfrohe Rheinländer empfing in Paris Eindrücke und Anregungen mannigfacher Art. Unter den literarisch-satirischen Erscheinungen, die dort auf ihn einwirkten, diente vor allem der Gil Blas Illustré Langen bei der Gründung des Simplicissimus als Vorbild. Als aber am 1. April 1896 die erste Nummer erschien, da erkannte man, dass es sich um wesentlich mehr handelte, als um eine deutsche Nachahmung des französischen Vorbilds. Nach Form und Inhalt absolut unabhängig und Eigenes gebend, trat der Simplicissimus ins geistige Leben Deutschlands als Verkünder des "heitern Lachens", als Vertreter von Spott und Satire gegen Gebrechen und Auswüchse in Staat und Gesellschaft. Der Simplicissimus machte vor niemandem Halt, er verschonte keinen Stand und keine Schicht, aber immer wahrte er die edle künstlerische Form und hüllte Wort und Bild in das leuchtende Gewand des allesverstehenden Humors. Was den Simplicissimus weit über sein Vorbild, den Gil Blas Illustré, hinaushob, das war sein geistiges Niveau und sein verblüffend neuartiger Stil, die allgemeines Aufsehen erregten. Hier zeigt sich Albert Langens Talent, sich die geeigneten Mitarbeiter zur Verwirklichung seiner hohen Ideen zu sichern. Th. Th. Heines gewaltige satirische Kraft gab dem jungen Blatt ein eigenes Gesicht, sodass Heine heute mit Recht als Mitbegründer des Simplicissimus bezeichnet wird.
Neben Heine waren es zunächst vor allem Angelo Jank, H. Schlittgen, J. B. Engl, F. v. Reznicek, Wilhelm Schulz, M. Slevogt, Th. Steinlein, A. Langhammer, Adolf Münzer, H. Anetsberger, R. M. Eichler, W. Georgi, J. Damberger, Fidus u. a., die dem jungen Unternehmen ihren Stift liehen.
Daneben standen als literarische Mitarbeiter Frank Wedekind, Carl Busse, Ernst Hardt, Paul Scheerbart, Wilhelm von Polenz, Jakob Wassermann, John Henry Mackay, Arthur Holitscher, Mia Holm, Korfiz Holm, Otto Erich Hartleben, Otto Julius Bierbaum, Arthur Schnitzler, Knut Hamsun, F. Mauthner, S. v. Schwewitsch, F. Gräfin zu Reventlow, Richard Schaukal, M. Schwann, Walter Harlan, Gustav Falke, Peter Nansen, Karl Rosner, E. v. Bodmann, Ernst v. Wolzogen, Richard Dehmel, Adolf Paul, Maurice v. Stern, Wilhelm Schäfer, Thomas Mann, Wilhelm v. Scholz, Rainer Maria Rilke, Hugo Greinz, Hugo Salus, Josef Schanderl, L. Jakobowski, Sven Lange, Peter Altenberg, Dr. Owlglass, Detlev v. Liliencron.
Mit der Phalanx von überwältigender geistiger Schlagkraft trat Albert Langen in die Öffentlichkeit und überwand gar bald den Widerstand der Trägen und Rückschrittlichen. Und immer wieder neue tätige Mitkämpfer gesellten sich dem jungen Blatte zu. Vor allem Eduard Thöny, Bruno Paul und Rudolf Wilke, die zu den hervorragendsten und eigenartigsten zeichnerischen Mitarbeitern zählten, ferner W. Caspari, O. Eckmann, H. Groeber, L. Kirschner, E. Neumann, H. Rossmann. Ihnen schlossen sich später an: C. O. Petersen, Ignatius Taschner, Rudolf Sieck, Pascin, Käthe Kollwitz, H. Zille, F. Spiegel, L. Kainer, Blix, E. Heinemann, B. Wennerberg, M. Dudovich, O. Lendecke, Karl Arnold, Erich Schilling, F. Heubner, und viele andere.
Auf Veranlassung Albert Langens, der ihn entdeckt hatte, siedelte Olaf Gulbransson im Dezember 1902 von Christiania in Dänemark nach München über und blieb seitdem dem Simplicissimus als genialer Humorist von unvergleichlicher Eigenart viele Jahre lang treu.
Auch der Kreis der gelegentlichen oder ständigen Mitarbeiter erweiterte sich fortgesetzt, und mancher Literat, der inzwischen zu Weltruf gelangte, erschien zum erstenmal bescheiden in den Spalten des Simplicissimus. Z.B. Ludwig Thoma, Gustav Meyrink u.a. Seit dem 3. Jahrgang, in dem Thoma zum ersten Mal erschien, war er dem Simplicissimus verbunden und seit dem Jahr 1900 gehörte er ihm als ständiger Mitarbeiter an. Im Jahr 1901 trat er in die Redaktion ein.
Bei Gründung des Blattes war neben Albert Langen auch Otto Erich Hartleben vorübergehend als Redakteur tätig. Diesem folgten Sven Lange, und Jakob Wassermann für kurze Zeit und an deren Stellen traten im 1. Jahrgang Korfiz Holm und im 2. Jahrgang Dr. Reinhold Geheeb. An Holms Stelle trat im Jahr 1901 Ludwig Thoma. Vorübergehend gehörte auch Thomas Mann von 1899-1900 der Redaktion an. Neben Dr. Geheeb waren von 1911-1914 tätig: Dr. K. B. Heinrich und Ernst W. Freissler. Ab Sommer 1914 ruhte die Redaktion in den Händen von Dr. R. Geheeb, Dr. H. E. Blaich (Dr. Owlglass) und Peter Scher.
Am 1. April 1906 erfolgte die Umwandlung des Simplicissimus in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, wobei Albert Langen seine Hauptmitarbeiter zu Mitbesitzern des Blattes machte. Es waren dies: Th. Th. Heine, Olaf Gulbransson, Bruno Paul, Wilhelm Schulz, Eduard Thöny, F. v. Reznicek, Rudolf Wilke, Dr. Ludwig Thoma, und Dr. Reinhold Geheeb. Die Leitung des Verlags verblieb jedoch in den Händen von Albert Langen und ging nach dessen Tode am 30. April 1909 auf Dr. R. Geheeb über, der dann noch viele Jahre lang an dessen Spitze stand.
Wenige Tage nach Langens Tod, am 4. Mai 1909 verlor der Simplicissimus einen seiner beliebtesten Mitarbeiter Ferdinand v. Reznicek. Er erlag den Folgen einer Magenoperation mit nicht einmal 41 Jahren. Dieser Verlust traf das Unternehmen doppelt schwer, nachdem bereits am 4. November 1908 in Rudolf Wilke, mit nur 35 Lebensjahren, seine stärkste humoristische Kraft für immer erloschen war.
Trotz dieser Schläge hatte der Simplicissimus es damals verstanden, seine hohe künstlerische Stellung zu behaupten. Und allen behördlichen Verfolgungen, Verboten, endlosen Prozessen und Anfeindungen zum Trotz ist der Simplicissimus sich treu geblieben, ist diese Quelle des Humors nicht versiegt. Vor dem Krieg feindete man ihn von rechts an, während des Krieges von links, heute - von beiden Seiten. Unbekümmert um die Meinung anderer, ging er seinen Weg und gedachte am 1. April 1920 in seinen 25. Jahrgang zu treten als damals Deutschlands vermutlich beliebtestes und am meisten gehasstes Witzblatt.
Gedruckt wurde der Simplicissimus zuerst bei Hesse & Becker in Leipzig, sah sich jedoch durch die Verfolgungen und Schikanen der Leipziger Staatsanwaltschaft gezwungen, in Süddeutschland einen Druckort zu suchen. Da die großen Münchner Firmen aus politischen Bedenken ablehnten, trat der Simplicissimus mit Strecker & Schröder einer jungen Stuttgarter Firma, in Verbindung, die auch den Druck übernahm.
1896–1914
Die Zeitschrift wurde immer wieder durch die staatliche Zensur beschnitten. Es gab auch ein Verfahren wegen "Majestätsbeleidigung". Einige Zeichner mussten sogar zeitweise ins Gefängnis. Frank Wedekind wurde zu sechs Monaten Festungshaft verurteilt, die er in der Festung Königstein vom 21. September 1899 bis zur Begnadigung im Februar 1900 verbüßte.[1] Das schwächte den Simplicissimus letztlich aber nicht. Ganz im Gegenteil — er wurde im Laufe der Jahre deswegen konsequent zu einem politischen Satireblatt weiter entwickelt.
Ab 1906 verliessen oder starben einige wichtige Zeichner die Redaktion. Zudem starb 1909 Albert Langen. Doch man konnte sich mit bezahlten mehrseitigen Anzeigen von Verlagsprogrammen und Künstlern über Wasser halten.
1914–1918
War die Zeitschrift bisher eine kritische Stimme gegen das Kaiserreich, dessen Politik und Millitarismus gewesen, änderte sich das mit Ausbruch des ersten Weltkriegs. Der Patriotismus hielt nun auch im Simplicissimus Einzug und auch der Krieg wurde als notwendig und richtig angesehen. Das Blatt wurde zunehmend kriegsverherrlichend. Diese Zeit wird als der journalistische Tiefpunkt der Zeitschrift angesehen.
1919–1933
Mit dem Sturz der Monarchie hatte der Simplicissimus seine Zielscheibe, den Kaiser und dessen stark konservative Gesellschaft vor 1914, verloren. Doch die schweren Anfangsjahre der neuen Republik und deren machtgierige und wenig kompromissbereite Politiker bescherten dem Blatt wieder eine neue Angriffsfläche. Ebenso die für das Deutsche Reich äußerst harten Bedingungen im Versailler Friedensvertrag, die auch der Simplicissimus als Demütigung und Schmach ansah. Zunehmend wurde nun das großstädtische Leben karikiert. Auch die Art der Zeichnungen änderte sich, da neue Künstler angestellt wurden. Als die Nazis Ende der 1920er immer mehr Zulauf bekamen, sah die Zeitschrift in ihnen eine große Gefahr für die Demokratie. Ab 1930 gab es immer mehr kritische Karikaturen über Hitler und seine Partei.
1933–1944
Im Februar 1933 wurde die Redaktion von der SA verwüstet. Die Faschingsausgabe hatte neben anderen auch eine Karikatur gebracht, auf der alle Leute als Adolf Hitler verkleidet herumlaufen. Nach Hitlers Machtübernahme wurde die Redaktion „gleichgeschaltet“. Die weitgehend widerstandslose „Gleichschaltung“ löste unter Emigranten große Empörung aus. So hat Klaus Mann formuliert: „Von allen im Dritten Reich gedruckten Widrigkeiten ist mir die ‚satirische‘ Wochenschrift ‚Simplicissimus‘ der widrigsten eine."
Weithin unbekannt blieben Versuche im Ausland eine Emigrationsausgabe des Simplicissimus zu verlegen. Die Auflage soll zwischen 10.000 und 20.000 Exemplaren betragen haben. Aber mit zunehmender faschistischer Ideologisierung auch in diesen Verbreitungsgebieten wurden immer öfter Ausgaben beschlagnahmt. Bald wagten viele Buchhändler nicht mehr, die Zeitung zum Verkauf anzubieten. Die letzte Ausgabe des Simplicissimus erschien am 13. September 1944.
Nach 1945
Von 1946 bis 1950 erschien in München Der Simpl, der aussah wie der Simplicissimus, wegen ungeklärter Urheberrecht-Probleme sich aber nicht so nennen durfte. Von 1954 bis 1967 erschien der Simplicissimus unter dem Verleger Olaf Iversen. 1981/82 wurde ein Neustart versucht und 1997 gab es einen erneuten Versuch einer Neuauflage als Koproduktion von Berlin und Wien, die aber auch wieder nach kurzer Zeit wegen finanzieller Probleme eingestellt wurde.
Autoren
Zu den bekanntesten Textbeiträgen gehörten u.a. die von Hermann Hesse, Hugo von Hoffmannsthal, Erich Kästner, Heinrich Mann, Thomas Mann, Franziska zu Reventlow, Edgar Steiger und Ludwig Thoma.
Illustratoren
Unter den bedeutenden Zeichnern trugen neben Thomas Theodor Heine, Olaf Gulbransson, F. v. Reznicek oder Eduard Thöny und Rudolf Wilke in großem Umfang mit ihren Karikaturen zum Erfolg der Zeitschrift bei.
Literatur
- "Industrielle Rundschau", München, 1920, Simplicissimus Verlag.
- "Die Kunst für Alle", unterschiedliche Jahrgänge, Lebensdaten vieler Künstler. (Alle Bände an der Uni Heidelberg online einsehbar.)
- Simplicissimus. Bilder aus dem „Simplicissimus“. Herausgegeben von Herbert Reinoß unter Verwendung einer Auswahl von Rolf Hochhuth. Hannover 1970
- Simplicissimus. Eine satirische Zeitschrift München 1896–1944, Katalog der Ausstellung im Haus der Kunst München 19. November 1977 bis 15. Januar 1978. Einleitung von Golo Mann
Fußnoten
Das Thema "Simplicissimus" ist aufgrund seiner überregionalen Bedeutung auch bei der deutschsprachigen Wikipedia vertreten.
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